Sonntag, 6. Januar 2008

Werbung anno 1895

Da ich selbst ursprünglich aus der Werbebranche komme, achte ich vielleicht ein wenig mehr auf Werbung als andere. Während einer Werbepsychologie-Vorlesung kam mir der Gedanke, dass es das sogenannte Product Placement keineswegs nur in Filmen und Serien gibt, auch wenn es da speziell so genannt wird. Aber wenn man Bücher etwas aufmerksamer liest, dann wird einem auffallen, dass die noch viel extremer mit Marken gespickt sind wie jeder Film.
Vor etwa zwei Wochen habe ich "Das Herz der Hölle" von Grangé zu Ende gelesen. Zeit, die ich mir vielleicht besser gespart hätte, aber nun ja. Das Buch ist ein wahres Werbeprospekt. Es vergeht kaum eine Seite, auf der nicht Camel, Mac, Heckler&Koch, Glock, Audi, Fiat oder etwas ähnliches erwähnt wird. Ja, auch Waffen sind Markenartikel. Und sowohl Waffen als auch Autos können scheinbar nie erwähnt werden, ohne die Marke gleich mitzuliefern. Kein Autor schreibt: "Er besaß ein Auto", nein, stets heißt es "Er besaß einen...", wahlweise möge man an dieser Stelle seine Lieblingsmarke einsetzen.
Infolgedessen fragte ich mich, ob das vor 100 Jahren schon genauso war. Jetzt kommt vielleicht der halbwegs gerechtfertigte Einspruch, dass es vor 100 Jahren noch gar nicht so viele Marken gab. Nun, ja und nein. Seit ein kluger Mensch den Buchdruck erfunden hat und windige Geschäftemacher damit in die Lage versetzte, Vorlagen mit wenig Aufwand in kurzer Zeit zu vervielfachen, gibt es wohl schon Werbung. Und seitdem es Werbung gibt, gibt es auch Marken. Wobei ich eine "Marke" als etwas besonderes verstanden haben möchte. Es gibt viele Marken, denen das Schicksal der Verallgemeinerung zuteil wurde. Wie bespielsweise Tempo oder Zewa. Kein Mensch sagt: Gib mir mal ein Papiertaschentuch oder ein Zellstofftuch. Es heißt einfach Tempo oder Zewa. Oder das Handy, das war ursprünglich auch mal der Markenname eines eher wenig handlichen Mobiltelefons. Der Computer, von IBMs Personal Computer. Fön, vom ersten Heißlufttrockner... die Liste ist schier endlos. Warum sind iPods wohl so teuer? Nicht, weil sie so hochwertig sind, sondern weil man bewusst verhindern will, dass in Zukunft jeder MP3-Player iPod genannt wird.
Aber zurück nach 1895. Gabs da auch Marken?
Ich möchte hier ein paar Beispiele geben:
In "Die Internatsschule" folgen Holmes und Watson Reifenspuren eines Fahrrads. Dabei erklärt Holmes ausdrücklich den Unterschied zwischen Reifen der Marken Dunlop und Palmer. Dunlops kamen ursprünglich aus Irland und die erste Reifenfabrik wurde erst 1890 eröffnet. Also war die Marke "Dunlop" zu Holmes' Zeiten noch recht neu und dennoch sehr erfolgreich. Palmer war eine deutsche Marke für Reifen, die die Jahrzehnte allerdings nicht überdauerte.
Abgesehen von der obligatorischen Automarke, die in der letzten Geschichte erwähnt wird: einem Benz, gibt es bei Doyle nicht allzuviele Marken. In "Der Hund von Baskerville" spricht Holmes zwar von einer bestimmten Marke Zigaretten, die Watson raucht und an der er seinen Gefährten erkannt hat, aber das ist etwas regional begrenztes.
Hornung ist da schon etwas konsumorientierter: schon das "Markenzeichen" von Raffles ist eine Marke, nämlich die Zigarettenmarke "Sullivan". Ob's die wirklich irgendwann mal gab, keine Ahnung, zum Glück gabs damals jedenfalls noch keine Spurensuche am Tatort à la CSI, sonst wären die beiden gleich erledigt gewesen.
Ebenfalls eine neue Erkenntnis brachte die Erwähnung der Marke "Mumm" in "The Rest Cure". Ich persönlich hätte nicht gedacht, dass es diese Marke schon so lange gibt, aber ein kurzer Blick in die Geschichte des Unternehmens offenbarte, dass es bereits 1827 gegründet worden war. Mumm war ursprünglich eine Champagner-Kellnerei.
Noch klarer wird die Stellung eines Markenprodukts selbst in der damaligen Zeit in "Das falsche Haus", wo Bunny erzählt: "Raffles fuhr ein Beeston Humber, ich begnügte mich mit einem Royal Sunbeam, aber er bestand darauf, dass wir beide Dunlop-Reifen benutzten."
Diese Aussage impliziert, dass eine der Fahrrad-Marken hochwertiger ist als die andere. Später wird sogar gesagt (wenn auch nur als Ausrede), dass man das Fahrrad nicht so lange draußen allein stehenlassen wolle, damit es nicht gestohlen wird.
Markenbewusstsein ist also keine Erfindung des späten 20. Jahrhunderts. Ab da nahm es bloß teilweise extreme Formen an...

Keine Kommentare: