Dienstag, 22. Januar 2008

Holmes'sche Kombinationsgabe

Heute habe ich Post bekommen...
Im letzten Monat kaufte doch tatsächlich jemand ein Exemplar der Geschichten, die ich in meinem vorigen Leben mal geschrieben habe. Und ich bezweifle nicht, dass dieser Jemand nun vermutlich etwas enttäuscht ist. Die Geschichten sind genau das, was entsteht, wenn ein Chef nicht imstande ist, seine Angestellten ausreichend zu beschäftigen. Sinnfreier Zeitvertreib. Die einzige Garantie ist, dass hinter jeder Figur ein Alter Ego im RL existiert. Aber ab März wird die Sammlung ohnehin nicht mehr erhältlich sein.
Und um ehrlich zu sein, bin ich darüber nicht sonderlich traurig. Es ist wie das Abhaken eines gewissen Lebensabschnitts. Sich nicht mehr die Frage stellen, warum man seine Zeit mit solch unnützen Dingen verplempert hat. Wie Doyle, der seine gehasste Schöpfung in den Abgrund stieß, nur um irgendwann festzustellen, dass sie bereits ein Eigenleben entwickelt hatte und nicht totzukriegen war.
Da floss mir übrigens zum ersten Mal der Begriff "Holmes'sche Kombinationsgabe" aus der Feder. Eingegeben von meinem allmächtigen Arbeitskollegen, der selbst vermutlich nie eine Geschichte von Doyle gelesen hat, aber der Ruf eilt Holmes ja in der Fiktion wie im wahren Leben voraus. Ich hatte damals noch keine Ahnung, was es damit auf sich hat. Jeder hat schon mal was von Sherlock Holmes gehört. Aber gelesen... damals waren wir noch von CSI fasziniert. Aber erst wenn man zu den Wurzeln zurückgekehrt ist und verstanden hat, dass es nicht die Technik ist, die eine Story ausmacht, sondern die Charaktere, dann wird man die alte Literatur zu schätzen wissen und sie dem Fernsehen vorziehen. Ich sage bewusst alte Literatur, weil ich das Gefühl habe, die neuen Charaktere sind so flach wie die Offsetdruckplatten, die die Bücher mit den Buchstaben füllen. Entweder das, oder sie sind psychologische Wracks.
Wo ich grad schon dabei bin, mich über die neuen Sachen zu beschweren... ich habe heute in ein Holmes-Hörspiel mit Walter Renneisen reingehört und ich muss sagen, dass das mit Abstand der ungeeignetste Holmes-Sprecher ist, den ich bisher erlebt habe.
Ich meine, Watson ist irgendwie immer gleich. Der Sprecher ist stets so ein Typ, der auch abends beim Kaminfeuer seinen Enkeln Märchen vorlesen könnte. Eine ruhige, angenehme Stimme. Manchmal ein gewisser nörgelnder oder echauffierter Unterton, ein wenig liebenswerte Zerstreutheit, aber alles in allem der ruhende Punkt eines aufgewühlten Universums.
Zu Holmes hingegen gehört diese trockene, arrogante Art, die besagtem Sprecher vollkommen abgeht. Ich frage mich, was den Zuständigen geritten hat, die Rolle von Holmes dermaßen fehlzubesetzen. Zwar verrät ein Blick in die Memoiren, dass Watson Holmes' Stimme mit "hohen, etwas schneidenden Tönen" beschreibt, womit Renneisen wohl näher an der Vorlage ist als Pasetti oder Rode, aber das macht die zerstreute, unsichere Art auch nicht mehr wett.
Wenn ich also die Wahl habe zwischen einem Stück, das zwar von der Vorlage abweicht, dafür aber einen guten Sprecher hat, oder einem, das nahe an der Vorlage ist, aber unpassend besetzt ist, werde ich mich wohl für ersteres entscheiden...

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