Montag, 18. August 2008

Der Reiz des Trivialen

Ich habe schon erwähnt, dass ich Carrs "Blut der Schande" gerade als Hörbuch höre, oder?
Ich würde sagen, ich bin ein Holmes-Purist. Nur der Kanon zählt. Ich habe bis heute kein einziges Pastiche gelesen (ausgenommen die kleinen Geschichten, die jedoch mehr augenzwinkernd als ernst gemeint sind). Ich habe "Das schauderhafte Abenteuer im Orient-Express" gehört und auch "Der Weihnachts-Trip". Und wir alle wissen, dass Doyle durchaus auch den einen oder anderen Satz irgendwelchen Alltagstrivialitäten gewidmet hat, aber eine ganze Stunde lang darüber zu philosophieren, warum Mrs. Hudson Holmes keine Dose Tabak beim Händer drei Häuser weiter kauft, scheint doch sehr merkwürdig. Und anstrengend. Und nach einer kurzen, ereignisreichen Zugfahrt samt Bombenangriff geht es gleich weiter mit einem ermüdenden Bericht Mycrofts über einen Mord vor 300 Jahren an einem Italiener und der Tatsache, dass Mycroft einen Mord vertuscht hat. Dazwischen ist die Geschichte gespickt mit verschlüsselten Briefen à la "Der Adler ist gelandet" und Holmes' Unfähigkeit, Tee zu kochen.
Der Reiz des Trivialen liegt bei Holmes eben darin, dass Doyle es ausgespart hat. Carr versucht, all jene Lücken des alltäglichen Zusammenlebens mit Inhalt zu füllen und das leider nicht sonderlich erfolgreich. Dazu noch Hubertus Gertzens - sorry - nörgelige Interpretation von Holmes. Holmes soll vielleicht arrogant und überlegen klingen, aber für mich hört er sich einfach nur quengelig an.
Auch dass Mycroft unbedingt eine Rolle spielen muss, zeigt wieder, dass die mystifizierte Figur Holmes' unbedingt mit Leben gefüllt werden muss. Wer hat schon schließlich keine Familie? Holmes muss doch auch ein Leben vor der Baker Street gehabt haben! Ja, selbst die Crew um Jeremy Brett musste etwas Privatleben um Holmes herumdichten: "Was, Vater hat Dir das Vergrößerungsglas vermacht...? Welch eine Ironie!"
Nun, nachdem mir Carrs Geschichte kein guter Zeitvertreib schien, widmete ich mich dem "Verdacht des Mr. Whicher". Ein wirklich sehr gutes Buch, das allen empfohlen sei, die wissen wollen, wie Polizeiarbeit im viktorianischen Zeitalter ablief. Es ist wirklich grandios recherchiert, wenn man bedenkt, dass es sich dabei um eine wahre Geschichte aus dem Jahr 1860 handelt. Dafür Wetter und örtliche Gegebenheiten fast 150 Jahre später in Erfahrung zu bringen, bedeutete sicher eine Hartnäckigkeit, der selbst Holmes Anerkennung gezollt hätte.

Donnerstag, 14. August 2008

Es spukt!

Hab gestern damit begonnen, Caleb Carrs "Blut der Schande" zu hören. Seltsam, dass ausgerechnet diese Geschichte von Doyles Erben lizensiert wurde. Doyle selbst hätte niemals eine Stunde mit bloßen zwischenmenschlichen Nichtigkeiten gefüllt, aber bitte...
Der Anfang (denn mehr hab ich bisher noch nicht gehört) wirkt jedenfalls wie eine Mischung aus ETA Hoffmanns "Das öde Haus" und Sweeney Todd. Und das alles wegen einer Dose Tabak... Dabei muss ich dem Maritim-Autor zustimmen: Warum sollte Watson überhaupt einen Beutel Tabak bei sich tragen? Watson rauchte nie Pfeife...

Dienstag, 12. August 2008

Würden Sie nur einmal Ihren Verstand benutzen, Watson!

Heut Abend komm ich mir selber vor wie Holmes, als er in "Skandal in Böhmen" von seinen Ermittlungen nach Hause kommt und erst mal herzlich lachen muss über das, was ihm da gerade so widerfahren ist, bevor etwas anderes tun kann.
Nun war ich gerade nicht in irgendwelchen Ermittlungen unterwegs, dennoch hatte der heutige Abend durchaus komische Züge und die Situation hat meiner Seite mindestens einen neuen Besucher eingebracht... doch von vorne.
Parkplätze sind zum Abstellen von Fahrzeugen gedacht. Wenn auf einem Parkplatz noch mehr Fahrzeuge stehen, denkt man, dass man sein eigenes dort gefahrlos abstellen kann. Dachte ich. Aber im Saarland ticken die Uhren halt manchmal anders.
So kam ich heute Abend nach dem Besuch bei einer Freundin auf das Parkplatz und musste verwundert feststellen, dass ich vor lauter Kirmes-Fahrzeugen mein Auto nicht mehr sah. Auf dem Parkplatz standen noch genau zwei Fahrzeuge: meines und der Firmenwagen meiner Freundin, auf der riesig die Telefonnummer ihres Geschäfts stand.
Der Mann da meinte: "Ist das Ihr Wagen?"
Nun ich sah ihn nicht mehr, aber ich ging mal stark davon aus. Erst dachte ich, die hätten ihn abschleppen lassen.
"Wir suchen Sie schon seit drei Stunden! Wo kommen Sie denn her?"
Ich wies auf den Firmenwagen und der Mann machte ein Gesicht wie Watson, wenn Holmes ihm die offensichtlichste Tatsache erklären muss.
"Wir waren sogar im Internet!" meinte er. "Sie stehen ja auf Detektivspiele..."
Das war der Punkt, an dem ich wirklich lachen musste.
Ja.
Und das "Rätsel des Marienplatzes" hätte sogar Watson lösen können!

Sonntag, 10. August 2008

Holmes, James Bond und die Wissenschaft

Illustrationen sind toll. Derzeit erweitere ich meine Sammlung nur noch um Bücher mit Holmes-Illustrationen. Dabei gab es durchaus mehr deutsche Zeichner als bloß Richard Gutschmitt. Meine neueste Entdeckung sind Zeichnungen von Kurt Lange.

Die Illus sind sehr interessant. Nicht, weil sie so toll und originalgetreu sind... natürlich sind sie rein technisch schön gezeichnet. Unverkennbar jedoch wohl schon der amerikanische Einfluss und die neue Freiheit der 20er Jahre. Die Frauen vollkommen unviktorianisch und mit tiefem Decolleté, die Männer in Cowboy-Manier mit Revolver und lässiger Kleidung. Man beachte die Lässigkeit des ersten Bildes: in einer Hand den Revolver, die andere in Hosen- oder Jackentasche gesteckt. James Bond hätte sich seinem Gegenspieler nicht cooler in den Weg stellen können...
Natürlich ganz davon zu schweigen, dass Holmes sich ungefähr kein bisschen ähnlich sieht.

Ach ja, ich habe "Die Wissenschaft bei Sherlock Holmes und die Anfänge der Gerichtsmedizin" gelesen. Sehr interessant, wirklich. Für alle Leute, die CSI und alle Gerichtsmedizinersendungen mögen, genau die richtige Lektüre. Als kleinlicher Perfektionist möchte ich allerdings anmerken, dass bei all den schönen Zitaten aus den Büchern auf Seite 149 keineswegs Watsons linker Fuß gemeint ist. Ausnahmsweise ist Watson mal nicht schuld. Die Spuren, über die Holmes sich da ärgert, von dem nach innen gedrehten, linken Fuß stammen nämlich von Lestrade.
Ansonsten aber eine Lektüre, die nicht umsonst ins Deutsche übersetzt wurde. (Das ist bei Holmes-spezifischer Literatur ja nicht selbstverständlich.)
Falls sich jemand weiter dafür interessiert, dem sei Kate Summerscales "Der Verdacht des Mr. Whicher" empfohlen, der eben genau einen der Fälle behandelt, die von EJ Wagner in "Die Wissenschaft bei Sherlock Holmes" angeführt werden.

Dann gibt es mal wieder neue Maritim-Hörspiele und ich muss sagen, "Das gelbe Gesicht" ist eine klare Steigerung zu den letzten beklagenswerten Versuchen, den Fall der Gloria Scott und vor allem des Flottenvertrags interessant zu gestalten. Sprachlich wirklich ein ganz anderes Niveau.
Leider hatte ich noch nicht das Vergnügen, "Im Zeichen der Vier" zu hören. Wie sie das gelöst haben, interessiert mich ja schon mal. Aber scheinbar so, dass es für den guten Watson keinen Grund gibt, aus der Baker Street auszuziehen.
Heute werd ich mir jetzt erst mal "Das Diadem" (BERY) anhören und hoffe, dass es ähnlich gut ist.

Sonntag, 3. August 2008

Die hohle Nadel oder: Wer hat Angst vor Arsène Lupin?


Eigentlich war "Die hohle Nadel" einer meiner Lieblingsromane aus der Lupin-Reihe. Wo "Die Insel der 30 Särge" zu abstrus und "Die Gräfin von Cagliostro" zu sehr von Amourösitäten geprägt war, war Lupin hier wieder einfach er selbst. Das heißt, er ist immer jemand anders, immer einen Schritt voraus und vor allem immer erfolgreich, bis er ganz am Ende eben doch seinen Meister trifft (der natürlich niemand geringeres als Sherlock Holmes' Alter Ego Herlock Sholmès ist). Soweit zum Buch.
Schon Lupins Lebenslauf auf der SWR2-Seite stimmte mich nachdenklich:

Arsène Raoul Lupin geboren 1874 in Blois, einer kleinen Stadt an der Loire zwischen Orléans und Tours. Seine adelige Mutter Henriette d’Andrézy überließ den jungen Arsène früh sich selbst und emigrierte in die USA, der Sohn hörte sein Leben lang nichts mehr von ihr. Sein bürgerlicher Vater Théophraste Lupin, Sportlehrer und Boxtrainer, führte ihn in die Geheimnisse diverser Kampfkünste ein, die ihm bei seinen Abenteuern von großem Nutzen sind.[...]

Ah ja... woher kommen diese Infos? Aus den Büchern nicht. Lupins Mutter ist nicht in die USA emigriert. Aber was solls... diese Infos spielen ja in den Hörspielen keine Rolle. Die halten sich ja irgendwie an die alten Übersetzungen. Nach diesem zweiten Hörspiel wurde mir allerdings klar, warum es nicht schon vorher deutsche Hörspiele davon gab. Lupin ist ein sehr emotionaler Mensch, wie es wahrscheinlich die meisten Franzosen sind, und das geht den Deutschen total ab. Die Schlusssequenz mit Lupin, Sholmès und Beautrelet sagt wohl alles:
Lupin sagt, Sholmès soll ihn in Ruhe lassen; der droht, Lupin zu erschießen; Raymonde wirft sich dazwischen; Sholmès schießt und trifft Raymonde, verschwindet dann; Lupin: "Oh, sie ist tot... tschüs." - Beautrelet: "Tschüs."

Gut, man muss sagen, dass wahrscheinlich etwas Zeit gespart werden musste, da auf eine CD halt nur 74 Minuten draufpassen und das Stück ja schließlich auch noch verkauft werden will.
Dabei soll das jedoch keineswegs Kritik an dem Lupin-Sprecher sein. Er ist wirklich großartig. Gruselig fand ich in diesem Teil Renneisen alias Sholmès. Ein Deutscher, der einen französischsprechenden Engländer mit englischem Akzent verkörpert. Nun ja. Außerdem hat er ohnehin nur drei Sätze.

Es war einen Versuch wert. Ob es noch mehr Hörspiele dieser Art geben wird, werden wir dann sehen. Und hoffentlich nicht "Die Insel der 30 Särge"!